Die Firmengeschichte von Sierra

Einer der traditionsreichen Spiele-Publisher dürfte wohl Sierra sein. Lesen Sie, wie die Firma entstand, welche Klippen umschifft werden mussten und was für die Zukunft geplant ist.

Mit Mystery House fing alles an. Vor 21 Jahren schaffte Sierra als erstes Unternehmen den Sprung vom Text- zum Grafikabenteuer. Roberta Williams entwickelte die Story, Ehemann Ken Williams programmierte das Spiel auf einem Apple II. Das Hobbyprojekt verkaufte sich mehr als 10.000 Mal, und der Grundstein für eine der erfolgreichsten Spielefirmen aller Zeiten war gelegt. Die Firma hieß damals noch Online Systems, die Umbenennung in Sierra OnLine erfolgte ein Jahr später.

Aller Anfang ist schwer

Es war die Ära der Textabenteuer. Infocom machte sich in diesem Genre mit Zork einen Namen, und Ken wie Roberta Williams sagten sich zu Recht, dass Abenteuerspiele mit Grafiken sicher noch größeren Anklang bei den Fans finden würden. Das erst Spiel dieser Art - Mystery House - war optisch wenig beeindruckend, Befehlseingaben erfolgten über einen Textparser, und der Aufbau der Grafiken nahm einige Zeit in Anspruch. Dennoch zeigte dieses Spiel deutlich das Potenzial des neuen Genres. Ermutigt von ihrem Achtungserfolg veröffentlichte das Ehepaar Williams mit Mission Asteroid, The Wizard and the Princess (auch als Adventures in Serenia bekannt) und Cranston Manor weiter Titel. Ein einziges reines Text-Abenteuer mit dem ominösen Titel Softporn Adventure entstand ebenfalls in dieser Zeit. Was man damals noch nicht wusste war, dass sich dieses milde Sexabenteuer-Konzept schon sehr bald mit einem neuen Helden zum Superhit entwickeln würde. Die Rede ist natürlich von Larry Laffer alias Leisure Suit Larry.

King Graham zeigte den Weg

Robertas Vorliebe für Fantasy führte zunächst zu einer Umsetzung des Jim Henson-Films The Dark Crystal für den Apple II (der Titel war auch für den Atari 800 geplant, wurde aber nie umgesetzt), bevor sie King Graham in King's Quest auf eigene Abenteuer schickte. Danach ging es Schlag auf Schlag. Weitere erfolgreiche Serien folgten mit Space Quest und Leisure Suit Larry. Alle diese Spiele verfügten über beeindruckende Grafiken und ermöglichten direkte Interaktion mit der Spielumgebung. Sierra bemühte sich nach Leibeskräften diese Features von Folge zu Folge verbessern. Jedes neue Quest-Abenteuer brachte Fortschritte in der Grafik, längere Zwischensequenzen, bessere Parser-Eingaben und viele andere Funktionen. Der Kauf eines jeden neuen Sierra-Produkts war praktisch ein Muss für alle Computer-Spieler. 1987, knappe sieben Jahre nach der Veröffentlichung von Mystery House, war Sierra OnLine das erfolgreichste Unternehmen in der Branche. Die kleine Firma aus dem unbedeutenden Städtchen Coarsegold in Kalifornien war plötzlich in aller Munde. In den folgenden zwei Jahren bemühte man sich, neue Serienproduckte zu entwickeln: Quest for Glory stellte denn tolpatschigen Absolventen der Korrespodenzschule für berühmte Abenteuer vor und wurde auf Anhieb ein Erfolg. Police Quest, eine eher ernst gemeine Semi-Simulation des Alltags eines Polizisten, fand ebenfalls schnell seine Nische. Die erste weibliche Hauptfigur bei Sierra - Lara Bow - kam hingegen über zwei Spiele (The Colonel's Bequest und The Dagger of Amon Ra) nicht hinaus. Anfang der 90er wurden Textpaser durch anklickbare Icons ersetzt, ein Umstand den viele Fans bedauerten. Skurrile Texteingaben gehörten damals zum Repertoire der meisten Spieler. Grafiken erreichten zu dieser Zeit erstmals VGA-Status und Sierra setzte neue Meilensteine für ausgedehnte Animationssequenzen.

Kaufrausch

Sierra plante nun den Gang an die Börse und dazu gehörte damals wie heute das Aufpolstern des Firmenportfolios. Eine Serie von Akquisitionen folgte die 1990 mit Dynamix begann, einem, Spezialisten für Flugsimmulationen (wie etwa Red Baron) und Flipper-Umsetzungen. Kurz darauf erwarb man den Lernspielehersteller Brighstar und das französische Softwarehaus Coktel, bestens bekannt für die Serien Goblins und Inca. 1995 erweiterte man die Producktpalette im Simulationsbereich: Sierra kaufte die Software-Schmiede Impressions, die kurz darauf mit dem antiken Städtebau in Caesar II einen großen Hit verbuchte. Danach folgten die Rennspielmacher Papyoros (Nascar) und die Militärexperten Sublogic (Pro Pilot)

Die Videojahre

Sierra's Plan bestand nun darin, einmal mehr neue Maßstäbe in der grafischen Präsentation von Spielen zu setzen. Das neue Zauberwort hieß Full Motion Video. Dazu schaffte man sich zunächst ein mehrere Millionen Dollar teures, hollywood-reifes Filmstudio an und begann, aus der Riege arbeitsloser Filmschaffender zu rekrutieren. Roberta Williams eröffnete das Filmfeuerwerk mit Phantasmagoria, dann verfolgte Schattenjäger Gabriel Knight in seinem zweiten Auftritt Bösewichte unter gedämpften Spotlights. Die Fans waren geteilter Meinung - Sierra überdachte das Videokonzept noch einmal gründlich. Die Entscheidung wurde jedoch vom Konsumenten getroffen, genauer gesagt von den unglaublichen Verkaufszahlen zweier Spiele, Welche die ganze Industrie auf den Kopf stellten. Die beiden Titel kamen nicht von Sierra oder anderen Branchenriesen, sondern von zwei relativ unbekannten, kleinen Entwicklerfirmen: id Software und Cyan läuteten mit Quake und Myst eine neue Ära ein. Das 3D-Genre bedarf keiner näheren Beschreibung, Myst hingegen kostete so manche Firma Kopf und Kragen. Beim Versuch, den Erfolg dieses Spieles auf dem Massenmarkt zu kopieren, traten sich die Marketingmanager - auf dem Ihnen bis dahin unbekannten Weg zur Entwicklungsabteilung - gegenseitig auf die Füße. Auch Sierras Bemühungen mit Titeln wie Lighthouse oder Rama blieben relativ verfolglos. Und es sollte noch lange dauern, bis man schließlich mit Half-Life im 3D-Genre festen Fuß fassen konnte. Im noch verbleibenden Mega-Genre Echtzeit-Strategie spielt Sierra aber immer noch keine allzu große Rolle.

Das Cendant-Debakel

1996 erwarb Cendant (damals noch C&C) Sierra für satte 1,2 Milliarden Dollar. Das erfolgreiche Großunternehmen, das sich mit diversen Unternehmungen innerhalb der Reisebranche eine goldene Nase verdient hatte, zog nun aus, um der Spielebranche das Fürchten zu lehren. Der Erste, der es mit der Angst zu tun bekam, war Firmengründer Ken Williams. Er verließ das neue Unternehmen. Cendant stellte seine Ahnungslosigkeit überzeugend unter Beweis und zog darüber hinaus den Zorn seiner Aktionäre auf sich, da diverse Fehler in der Buchhaltung den Aktienpreis über nacht halbierte. 1999 fand man in dem französischen Verlaghaus Havas einen Abnehmer für die zur Bürde gewordenen Softwareabteilung. Cendant Software hieß fortan Havas Interactive zu deren Holdings neben Sierra auch Blizzard, Coktel, Knowledge Adventure und der Internet-Spieleservice WON.net gehören. Zu einer der ersten Amtshandlungen des neuen Managements gehörte die Entlassung der 130 Mittarbeiter im Sierra-Mutterhaus und dessen Schließung. Drei weitere Studios gingen den Weg alles Irdischen, wobei hoffnungsvolle Titel wie Babylon 5, Middle Earth und Pro Football 2000 auf der Strecke blieben. Sierras Weg führte vom innovativen Kleinunternehmen zum erfolgreichsten Entwicklerhaus und endete als Spielball diverser Großkonzerne.

Zu neuen Ufern?

Mit Half-Life, Pharao, Starsiege, Tribes und Gabriel Knight III konnte man in jüngster Vergangenheit wieder einige beachtliche Erfolge verbuchen. Auch Homeworld war ein Schritt in die richtige Richtung, wenngleich der erhoffte große Verkaufserfolg ausblieb. Demgegenüber stehen jedoch solche Blindgänger wie Trophy Base, Big Game Hunting und Bull Riding. Gerüchte zufolge bewirbt sich Sierra derzeit um die Lizenz für Spiele, die auf der Neuverfilmung von Der Herr der Ringe basieren sollen. Kein schlechter Gedanke, da Tolkien's Trilogie seit jeher seltsame Faszination auf die Spielergemeinde auszuüben scheint. Impressions arbeitetet zur Zeit an Zeus: Master of Olympos und ein weiterer, für das Jahr 2001 geplanter Titel, hat ebenfalls großes Potenzial. Die Rede ist von Empire Earth von Stainless Steel Studios, das von Age of Empires-Chef-Designer Rick Goodman entwickelt wird. Empire Earth ist ein Echtzeit-Strategiecal, welches 500.000 Jahre menschliche Evolution - von der Steinzeit bis in die nahe Zukunft - umfassen soll. Ein passender Titel für die Firma Sierra, die uns in 20 Jahren einen faszinierenden Einblick in die Evolution der PC-Spielebranche gewährte. In diese Zeit definierte das Unternehmen das Adventure-Genre und setzte Referenzen denen jede andere Firma folgen mußte. Damit leistete Sierra einen nicht zu unterschätzenden Beitrag für die gesamte Branche.

Die Meilensteine von Sierra
Die Hits von Sierra im Überblick.
Was macht eigentlich Ken Williams?
Ken Williams, der Gründer von Sierra, verließ die Firma als sie von Cendant aufgekauft wurde, und geht nun eigene Wege.