Nr. 0646: Der Templer-Jäger
Blasse Gesichter, farblose, vorgeschobene, trotzig wirkende Lippen, Hunger in den Augen, manchmal auch Verzweiflung oder nervöse Unruhe. Das Suchen nach dem Ziel, die Erfüllung der Wünsche, die Gier es haben zu müssen, das Überlegen, der bedrückende Frust- es spiegelte sich alles auf den jungen Gesichtern wider, vor denen manche Abscheu empfanden. Stephan Audrin verspürte sie nicht, auch keine Angst, bei ihm überwog das Mitleid. Diese jungen Leute in einer der zahlreichen U-Bahn-Stationen wußten genau, daß bei ihm nichts zu holen war. In seinem schäbigen Sommermantel und der randlosen Brille sah er aus wie ein unterbezahlter Buchhalter und nicht wie ein Historiker, für den eine Stadt wie Paris die große Schätze bereithielt. Er gehörte zu denjenigen, die nicht auffielen, die man sah und trotzdem nicht wahrnahm, denn die Menschen hatten nur Augen für die Tollen, die Auffälligen, die sich entsprechend kleideten und auch so stark angeben konnten.
erschienen 20.11.1990
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